24.05.2023 08:00
Einmal zur Liebesinsel und zurück
Einen Morgen auf dem Untersee unterwegs mit dem Berufsfischer Rolf Meier
Seit 1989 ist Rolf Meier Berufsfischer, heute ist er einer der letzten verbleibenden auf dem Untersee. Am Freitag habe ich ihn auf den See begleitet.
Ermatingen Es ist 2.45 Uhr am Morgen. Mein Wecker klingelt, ich habe grosse Mühe aufzustehen. Immerhin war gestern Auffahrt, da konnte ich mich wenigstens ausruhen. Normalerweise würde ich mich zu einer solchen Uhrzeit noch mal im Bett umdrehen, doch heute ist für mich ein besonderer Tag. Ich treffe mich um 3.45 Uhr mit Berufsfischer Rolf Meier am Restaurant Seegarten in Ermatingen. Er nimmt mich heute mit auf den See und gewährt mir einen Einblick in sein Leben als Berufsfischer. Wir stellen uns vor, aus Herr Meier und Herr Wrzeszcz wird direkt Rolf und Nico.Ich werde eingekleidet, ein klassisches Fischeroutfit, dazu warme Stiefel. Für Mitte Mai ist es sehr kühl. Wir laufen los in Richtung Boot. Es ist sehr dunkel, die Strassenlaternen sind aus. Einzig Rolfs Kopflampe erleuchtet uns den Weg. Unterwegs erzähle ich ihm von meinem Artikel aus der Vorwoche und dass der Kormoran den Fischern das Leben schwer macht. «47 Prozent finde ich eine extrem hohe Zahl. Bei uns am Untersee haben wir jedenfalls nicht so grosse Probleme. Viel mehr der saubere See, der Klimawandel und viele andere Faktoren tragen zum Fangrückgang bei», erklärt er mir.
Wir kommen beim Boot an. Ein, zwei Schritte durchs Wasser müssen wir nehmen um einsteigen zu können. Am Seeufer sieht man vereinzelte Strassenlaternen. Um uns herum ist es weiterhin dunkel. Nach kurzer Vorbereitungszeit fahren wir los. Rolf Meier setzt zwei Probenetze in Ufernähe. «Diese sind dafür da, um zu schauen, wie viel Fische hier unterwegs sind.» Danach geht es auf den Untersee. Wir fahren eine ganze Weile, unser erstes Ziel: die Liebesinsel bei Radolfzell. Dort holt Rolf seine ersten Netze des Tages aus dem Wasser. «An dieser Stelle sind Egli das Ziel. Sollte ich hier mehr Felchen im Netz haben, muss ich die Stelle wechseln.» Die Felchen sollen noch wachsen.
Jedes mal die Ruhe geniessen
In der Zwischenzeit ist es merklich heller geworden, man könnte mit etwas Mühe sogar eine Zeitung lesen. Dabei sind wir noch nicht mal eine Stunde unterwegs. Während Rolf die Netze einholt geniessen wir die Ruhe und lauschen den Rufen der Wasservögel. «Auch wenn ich jeden Tag auf den See fahre, diese Ruhe geniesse ich jedes Mal aufs Neue.» Wir kommen langsam ins Gespräch, reden sowohl über seinen und meinen Beruf, wie auch über das Privatleben. Das erfolgreichste Jahr war das Hochwasserjahr 1999. Dort gab es so viele Fische im See, Rolf setzte damals nur zwei Netze. Nur schon in diesen beiden Netzen waren genügend Fische. Auch heute hat der See im Verhältnis wieder viel Wasser. «Noch rund eineinhalb Meter, dann haben wir das Hochwasserniveau erreicht. Und eine Faustregel sagt: viel Wasser, viel Fisch. Schauen wir mal, ob das in diesem Jahr zutrifft.» Eines seiner Netze ist ganz neu. «Zwischen 450 und 500 Franken kostet ein neues Netz. Dieses hält dann etwa ein bis eineinhalb Jahre.»
Wir fahren weiter bis vor Radolfzell. Dort hat Rolf die meisten seiner 14 Netze gesetzt. Hier holt er heute einen Grossteil der sieben bis acht Kilogramm, die er gefischt hat, aus dem Wasser. «Die Netze werden immer abends ab 17 Uhr gesetzt, morgens ab 4 Uhr fahre ich immer raus und hole sie aus dem Wasser.» In den Sommermonaten ist Rolf Meier immer von Montagabends bis Samstagmorgens im Einsatz. In den Wintermonaten werden die Netze morgens gelupft und auch wieder gesetzt, bleiben dann aber für zwei Nächte im Wasser. Wie er sich denn merken kann, wo seine Netze liegen und wie er sich seine Stellen raussucht?, frage ich. «So grob merke ich mir, wo ich die Netze gesetzt habe. Ich nutze aber auch GPS um den genauen Standort wieder zu finden. Und um gute Stellen zu finden gehört vor allem ein gutes Bauchgefühl dazu. Mal habe ich an einer Stelle mehr Glück, mal etwas weniger. Es ist viel Ausprobieren dabei. Läuft es an einer Stelle gut, werde ich auch das nächste Mal wieder dorthin fahren.» Während wir die letzten Netze vor Ort aus dem Wasser holen, fährt ein bekannter Fischer aus Bankholzen vorbei. Er hält an und wir unterhalten uns eine Weile.
Fang ist überschaubar
Es ist ungefähr 6.30 Uhr, ein wenig verliert man das Zeitgefühl. Es ist fast taghell, das Morgenrot vorüber, die Sonne kämpft gegen die Wolken an. Wir machen uns auf den Weg zurück nach Ermatingen. Schliesslich gibt es dort noch die zwei Probenetze aus dem Wasser zu holen. Dort angekommen sind wir überrascht, wie sehr das Netz in nur knapp drei Stunden um mehrere Meter abgetrieben ist. Der Fang in diesen beiden bleibt aber überschaubar. Wir gehen wieder an Land. Wir laufen zurück zum Restaurant, ich ziehe mich wieder um und habe merklich Mühe mit kalten Fingern mir die Schuhe zu binden. Wir trinken noch gemeinsam einen Kaffee und stelle Rolf noch einige Fragen.
Wie lange er den Beruf denn noch ausführen möchte und wie er mit dem Fangrückgang umgeht. «Es kommt natürlich auf meine Gesundheit an. Wenn es diese zulässt, werde ich noch ganz viele Jahre auf den See fahren. Eine Tendenz, wie sich die Fänge einpendeln, kann ich nicht abgeben. Es kann weniger, oder aber auch mehr werden. Das lässt sich immer schlecht sagen. Der See hatte in den letzten Jahren recht wenig Wasser, jetzt wieder mehr. Wir Fischer schauen, dass wir ein Gleichgewicht halten, und an Laich immer das in den See setzen, was wir an Fisch herausgeholt haben». Zwischen 40 und 60 Kilogramm waren vor einigen Jahren sehr erfolgreiche Tage, heutzutage sind im Sommer bis zu 20 Kilogramm realistisch. Aber auch das könne sich in den nächsten Jahren wieder ändern. «Es gab schon immer Jahre, in denen es mehr Fische gab, und Jahre, in denen es weniger gab. Man muss sich in diesem Beruf einfach jedes Jahr wieder neu einstellen.» Mit vielen gewonnen Eindrücken hat sich das frühe Aufstehen definitiv gelohnt. Während ich mich verabschiede, geht es für Rolf Meier ans Verarbeiten der frisch gefangen Fische für seine Seegarten-Küche.
Von Nico Wrzeszcz