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Donnerstag, 30. März 2023
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Ich habe Depressionen. Hatte Depressionen. So genau weiss ich nicht, ob sie schon vorbei sind. Was ich weiss, ist, dass ich meine Geschichte erzählen will. Sie erzählen muss. Für mich und für alle, die stumm leiden.
Eigentlich ist alles gut. Und doch weine ich. Jeden Tag. Und jeden Abend. Auf dem Weg zur Arbeit und zurück. Immer dieselbe Strecke, immer der gleiche Halt an der Tanke. Nicht, weil ich tanken muss. Dort sitze ich in meiner abgeranzten Jeansjacke. Das Fenster einen Spaltbreit offen rauche ich eine Winston nach der anderen, verbrauche Berge von Tempos. Obwohl ich alles habe. Ein Auto, eine Wohnung, eine liebevolle Familie. Und vor allem: meinen Traumjob. Ich wollte schon als kleines Mädchen Journalistin werden. Jetzt bin ich eine, aber eine unglückliche. Es hat mal Spass gemacht. Eigentlich ist gar nichts gut.
Journalist ist einer der zehn stressigsten Berufe der Welt. Das haben Forscher der medizinischen Universität Cincinnati 2014 in einer Studie herausgefunden. Die Studie ist zwar schon etwas älter, aktuell ist sie aber immer noch. Genauso wie die Gründe für die Belastungen: Stress und unregelmässige Arbeitszeiten. 12.4 Prozent der Berufstätigen sind laut der Studie von Depressionen betroffen. Und ich bin eine von ihnen. Aber ich bin nicht allein. Da ist Remo Schraner.
Auch er ist Journalist. Und auch er ist depressiv. Er erzählt mir an einem heissen Tag im Coop Restaurant Baden Aargau von seiner langjährigen Krankheit. Ganz so, als ob er das jeden Tag tun würde. «Angefangen hat es, als ich mich im Januar für die Arbeit bereit gemacht habe und danach nicht aus dem Haus gekommen bin», erzählt der 28-Jährige. Ihm fehlte die Energie. Schraner reduzierte sein Pensum, arbeitete mehr von zu Hause aus. Erst schien es, als würde es ihm besser gehen. «Doch irgendwann ging einfach nichts mehr», erzählt er und trinkt einen Schluck Shorley. Er bezeichnet diesen Punkt als Cut. Schnitt.
Eine Depression kann verschiedene Ursachen haben. Das erklärt mir Julia Chan, Psychologin in der Gemeinschaftspraxis für Psychotherapie in Frauenfeld. Das Interview in ihrem hellen Büro kommt mir vor wie verkehrte Welt. Denn anders als sonst in der Therapie stelle ich heute die Fragen. «Alle möglichen belastenden und stressigen Situationen können Auslöser für eine Depression oder ein Burnout sein. Aber es gibt eine gewisse Vulnerabilität, das ist der Fachausdruck, man sagt, Empfindlichkeit», erklärt mir Chan. «Wenn wir genug Stress und Belastungen erleben, kippt es bei vielen. Die Frage ist, wie es kippt.» Stark vereinfacht könne man sagen, unter Dauerstress reagieren einige Leute aggressiv oder ängstlich. Oder eben depressiv.
Remo Schraner über seine langjährige Depression:
Die Suizidgedanken kommen schleichend, fühlen sich an wie ein Reflex. Es ist dieser eine Satz, der immer wieder kommt. «Ich wünschte, ich wäre tot.» Als meine Augenringe so dick sind, dass ich sie mit meinem besten Make-up nicht mehr abdecken kann, ruft mich ein Arbeitskollege zu sich. «Was ist los?» «Nichts.» Er legt den Kopf zur Seite. «Sag mir, was mit dir ist. Ich erkenne dich nicht mehr.» «Ich will sterben.» «Du spinnst total.» Ich mache kehrt, will in mein Büro. Doch die Tränen sind schneller.
Die Symptome einer Depression sind abhängig von der betroffenen Person. Neben der Trauer können laut Julia Chan auch Wut und eine innere Leere auftreten. In Remo Schraners schlimmsten Phasen war es Letzteres: «Wenn ich wirklich am Boden war, habe ich meistens gar nichts mehr gespürt. Das ist das Schlimmste, was passieren kann.» Diese Leere ereilte ihn auch, als er sein lang ersehntes Auslandspraktikum antreten wollte. «Ich kam im Ausland an und ich habe kaum noch geschlafen, kaum noch gegessen. Bin nur noch rumgelegen. Irgendwie war ich wie lahmgelegt.» Schraner musste absagen und zurück in die Schweiz kommen.
«Sie müssen in eine Klinik.» Mein Psychologe schaut mich an, krault sich den Bart. Ich hasse ihn. Ihn und sein mit afrikanischen Püppchen vollgestopftes Büro. Ihn und seinen weiss-blau karierten Schal, den er auch dann trägt, wenn es irre heiss ist. Was soll das bloss? Tränen wischend schaue ich auf die Uhr. «Sind Sie im Stress, Frau Sennhauser?» «Ja, heute Abend ist da diese Informationsveranstaltung.» «Und?» «Ich muss da hin.» «Ich glaube eher, sie müssen in eine Klinik.» Er lässt nicht locker. «Ich kann Sie krankschreiben. Sie müssen mir nur versprechen, dass Sie sich nichts antun.» Ich kann nicht. Muss ständig an die Schlaftabletten denken, die ich zu Hause in meinem schwarzen Nachttisch horte. Es wäre so leicht. Aber ich habe keine Kraft mehr. Eine Stunde später stehe ich vor den Toren der psychiatrischen Klinik in Wil.
Alle vierzig Sekunden nimmt sich ein Mensch das Leben. Dies gab die Weltgesundheitsorganisation WHO im letzten Jahr bekannt. Wie stark Suizidgedanken werden können, beschreibt Ruedi Josuran. Wir treffen uns an einem verregneten Samstag in einem Café in Stäfa. Ich habe wie immer keinen Schirm dabei. Josuran schon. Und einen schwarzen Mantel, der mich irgendwie an einen Pfarrer denken lässt. Der SRF-Journalist erkrankte vor über zehn Jahren an einem Burnout. Heute geht es ihm gut. Damals dachte er daran, sein Leben zu beenden: «Ich stand am Zugperron und habe einfach gedacht: ‘Lass dich fallen, wenn der Zug kommt’. Dann habe ich den Perron verlassen, weil ich gemerkt habe, dass mich ein Sog zum Gleis zieht.»
Ergotherapie. Sie gehört zum festen Tagesablauf auf der Akutstation. So sitze ich zusammen mit zehn anderen psychisch Kranken in einem Raum, der aussieht, wie das Handarbeitszimmer meiner Primarschule im Toggenburg. Überall hängen farbige Papiergirlanden und anderer Schnickschnack. Wir sollen kreativ sein, meint die Therapeutin. Basteln, malen oder sonst was. Ich kann das nicht. Der einzige Raum, der mir gefällt, ist der Raucherraum. Ein dunkles Loch. Dort verbringe ich meine Stunden. Anstatt in der Ergotherapie zu verzweifeln, würde ich lieber in meinem Loch sitzen und Kette rauchen. Aber kein Pardon. Also beschliesse ich, Freundschaftsbändchen zu knüpfen. Versuche es zu sehr. Mache mir Druck, verzettle mich. Löse alle Knoten, beginne von vorn. Am Ende der Stunde bin ich so weit wie am Anfang.
Auf der Terrasse des Coop Restaurants spricht Schraner über seine Angst vor der Klinik. «Ja, in die Psychi zu gehen war für mich der Horror», sage ich und halte mir schockiert eine Hand vor den Mund. Ich benutze das Wort «Psychi» oft, obwohl ich weiss, wie abschätzig es klingt. Remo Schraner lacht. Ich atme erleichtert auf, fühle eine seltsame Verbindung zu diesem Mann. Er redet weiter: «In der Klinik habe ich wieder zu mir gefunden. Was für mich einschneidend war: Ich kam in den Aufenthaltsraum und es hatte so viele Leute dort.» Er merkte, dass er nicht alleine ist. Und trotzdem fühlte er sich einsam. Dass sich einige seiner Arbeitskollegen nicht bei ihm meldeten, traf ihn. «Ich dachte mir: ‘Die wissen, wo ich bin und melden sich nicht. Was soll die Scheisse?’ Dann habe ich gemerkt, dass sie überfordert sind. Es fehlen viele Informationen für Leute, die keine Depressionen haben. Aber klar, es ist verletzend, wenn man im Stich gelassen wird.»
«Frau Chan, wieso können viele Menschen nicht mit psychisch Kranken umgehen?», frage ich und blinzle gegen das Sonnenlicht an, das durch die hohen Fenster dringt. Die Psychologin richtet sich in ihrem grauen Sessel auf. «Es gibt so viele verschiedene psychische Krankheiten und die können mehr oder weniger bedrohlich wirken. Und ich glaube, das ist so, weil wir alle ahnen, dass wir gewisse Abgründe in uns haben, in die wir allenfalls hineinfallen könnten.» Also ist es, als würden psychisch Kranke der Gesellschaft den Spiegel vorhalten? «Ja, sie zeigen, was möglich ist.»
«Frau Sennhauser?» Es ist der Pfleger, der immer spazieren gehen will. Es ist kurz nach dem Mittagessen, zum Dessert gab es die tägliche Portion an Tabletten. Ich bin müde, habe keine Lust, nach draussen zu gehen. Er klopft an den Nachttisch. «Kommen Sie mit?» Ich wusste es! «Ich bin müde», sage ich und schliesse die Augen. «Frau Sennhauser, sind Sie müde oder erschöpft?» Der Pfleger nervt. Er soll gehen. Doch er bleibt. Schliesslich gehe ich mit. Widerwillig. Mit mir zwei, drei andere Patienten. Einen kenne ich. Ich weiss, dass er schizophren ist. Er weiss, dass ich depressiv bin. Wir spazieren nebeneinander her. Plötzlich fragt er: «Hast du Freunde?» «Ja, warum?» «Wieso willst du dich dann umbringen?» Ich bin fassungslos. Was für eine blöde Frage! Oder nicht? Er schaut mich an. Ich kann ihm keine Antwort geben.
Ähnlich wie mir ging es auch Remo Schraner. Er, für den Bewegung Lebenslust hiess, hatte keine Kraft mehr. Fühlte sich «wie ein Klumpen Tod», nahm 15 Kilogramm zu. Seit es ihm besser geht, ist er dabei, diese wieder abzutrainieren. Denn, so Schraner, «es ist frustrierend, sein eigenes Spiegelbild nicht mehr wiederzuerkennen.»
So beschreibt Remo Schraner seine Depression:
Ich sitze im Loch, höre Musik und erkläre, wer gerade ins Mikro schreit. Es ist Marilyn Manson. Die Musik düster wie meine Gedanken. Das sind sie vor allem, weil ich zum Suizid Mentoring verdonnert wurde. Dreimal täglich muss ich den Pflegern erklären, dass ich mich noch umbringen will. Und mir, weshalb ich es noch nicht getan habe. Aus Angst? Feigheit? Trägheit? Ich weiss es nicht. Weiss nur, dass ich hier bin. Im Loch.
«Ich sage bewusst nicht, Journalismus kann einsam machen. Journalismus macht einsam», erklärt mir Michael Hug. Er ist der Ostschweizer Co-Präsident vom Journalistenverband «impressum». Hug fährt sich über seine zerzausten, grauen Locken und ergänzt: «wenn du unterwegs bist, bist du alleine. Am Schluss sitzt du alleine vor dem PC und schreibst dein Zeug. Es macht aber vor allem einsam, weil du in der Gesellschaft der bist, der zwischendurch grausam aneckt.» Die unregelmässige Arbeitszeit und die vielen Überstunden seien ebenfalls belastend: «Während ein Journalist früher einen Bericht am Tag schreiben musste, sind es heute bis zu drei.» Hug macht die Medienkrise verantwortlich. Die Zusammenlegung von Redaktionen, das fehlende Geld in den Verlagen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das anders. Zeitungen hatten Geld und Erfolg. Mit dem Beginn des digitalen Zeitalters begann der Fall. Schleichend, nicht einzuschätzen. Die Digitalisierung hat die Medienbranche und andere Berufszweige kalt erwischt.
«Das muss cool sein». Ein Satz, der während meines Klinikaufenthalts häufig fällt. Ja, Journalistin zu sein, war mal cool. Jetzt bin ich keine mehr. Sondern eine Depressive. Eine, die sich schämt. So sehr, dass sie sich nicht traut zu sagen, wo sie arbeitet.
Viele Patienten schämen sich wegen ihrer psychischen Krankheit, wie Julia Chan beschreibt: «Psychische Krankheiten werden verbunden mit nicht stark genug sein oder versagen.» Der SRF-Moderator Ruedi Josuran kennt das. Für ihn war die Scham «wie eine Krankheit neben der Krankheit». Bei seinem späteren Herzinfarkt war das kein Thema. «Der war nie so schlimm, obwohl es eine lebensbedrohliche Situation war. Wenn man einen Herzinfarkt hat, bekommt man viel Verständnis. Man hat sofort eine Diagnose», sagt er und spült seine Butterbrezel mit einem Schluck Kaffee hinunter. Das ist für ihn der Grund, wieso psychisch Kranke noch immer stigmatisiert werden. «Wir haben ein Problem damit, wenn uns niemand ein Röntgenbild, einen Beweis für eine Krankheit zeigen kann.»
«Was denkst du gerade?» Meine Eltern sind zu Besuch, schauen sich unsicher im Esssaal meiner Station um. Ich starre ins Leere, nehme die Theke mit der überdimensionalen Kaffeemaschine und dem üppigen Früchtekorb nur verschwommen wahr. «Nichts». Gelogen! Ich denke an Zeilen, Zeichen, Bilder. An meine letzten Artikel, an Leser, Kollegen. Kommen sie klar? «Ich bleibe höchstens zwei Wochen. Das wird reichen.» Das muss reichen. Meine Eltern sehen sich an. Sehen mich an. «Lass dir Zeit», sagen sie. Doch ich habe keine. Zwei Wochen. Wie lange kann eine Depression schon dauern?
Journalismus – ein hartes Pflaster? «Ja», findet der grauhaarige Michael Hug vom «impressum». Er spricht von körperlicher, zeitlicher und sozialer Belastung. Von mangelnden Perspektiven, vor allem in der Ostschweiz. «Ich kenne viele, die ausgebrannt sind, einige sind vielleicht noch im Job, aber innerlich kaputt. Dann hat es die, bei denen das Burnout diagnostiziert ist. Die sind dann ein halbes Jahr weg. Und in dieser Zeit haben sie Angst, dass sie nicht mehr zurückkommen können.» Eine Angst, die in Remo Schraners Fall berechtigt war. Er trinkt seine Shorley aus, stellt das leere Fläschchen auf den Tisch und sagt: «Mein Chef hat mir schon vor dem Klinikaufenthalt gesagt, dass er meinen Vertrag nicht verlängern wird.»
Ich laufe. Immer schneller, immer weiter weg. «Wohin geht’s?», fragt ein Mitpatient. «Irgendwohin.» Es regnet. Ich werde nass, bekomme Gänsehaut. Macht nichts. Kalt ist mir sowieso ständig. Egal, wie viel Kaffee ich trinke. Die Kälte kommt von innen. Ich laufe weiter. In meinen Ohren dröhnt Musik. Irgendwann bleibe ich stehen. Setze mich auf eine Bank. Mein Gesicht ist nass. Metallica singt «Nothing Else Matters». Genau.
Für Remo Schraner zählt jetzt vor allem eines: Seine Gesundheit. «Man muss sich überlegen, was einem wichtiger ist. Den Job verlieren oder die psychische Gesundheit.» Wie es beruflich für ihn weitergeht, weiss er nicht. Ebenso, ob der Journalismus noch zu ihm passt. «Also die Arbeit passt zu hundert Prozent zu mir, die Frage ist, passt das Umfeld?» Will er überhaupt zurück? Zurück in den Journalismus, in eine Branche, die krank machen kann und einsam? «Nicht auf Biegen und Brechen.»
Remo Schraner über seine berufliche Zukunft:
Wenige Monate nach unserem Treffen konnte Remo Schraner wieder Fuss im Journalismus fassen. Trotz allem.
38°C Fieber. Die Grippe. «Ab ins Bett», sagt meine Pflegerin. Die Journalistin, die früher mit Migräne, Bronchitis und Blasenentzündungen seitenlange Artikel schrieb, soll krank sein? Ich lache, die Pflegerin nicht. Sie meint es ernst. Ich mache langsam kehrt, schlüpfe in meinen Eulenpyjama und krieche unter die Decke. Ich bin krank und im Bett. Und es ist okay. Ich darf mich ausruhen. Und die Welt bricht nicht zusammen.
Auch die Medienbranche kränkelt laut Michael Hug. Er wirkt hoffnungslos: «Ich glaube, das wird sich nicht mehr verbessern. Es wird nie mehr so, wie es vor dem Jahr 2000 war.» Positiver betrachtet es Ruedi Josuran. Er sieht mich über seine zweite Tasse Kaffee hinweg an und sagt lächelnd: «Der Journalismus war meine erste Liebe und wird es bleiben. Natürlich schaffen die ständigen Veränderungen Unsicherheiten, die es früher nicht gab. Aber ich würde niemals sagen, heute ist es in der Medienbranche besser oder schlechter als früher. Es ist einfach anders.»
Remo Schraner hat ein Klinikaufenthalt geholfen, auch Ruedi Josuran ist gesund geworden. Und was hilft der Medienbranche? Gemäss Michael Hug lediglich eines: «Journalisten müssen entlastet und besser bezahlt werden.»
Ich stehe draussen vor der grossen Holztür und dem Schild «Psychotherapiestation» und weine. Meinen Vater an der einen, mein Gepäck an der anderen Hand. Es sind Freudentränen. Heute werde ich entlassen. Kann nach drei Monaten zurück in mein Leben, zurück in meinen Job. Während ich diese Zeilen schreibe, ist ein Jahr vorbei. Ein gutes Jahr. Ich denke oft an diese Zeit zurück. In die «Psychi» zu gehen, war wohl die beste Entscheidung, die ich jemals getroffen habe. Denn, hätte ich es nicht getan, könnte ich jetzt vielleicht diesen Text nicht schreiben, nie mehr Musik hören, Kaffee trinken und Zigaretten rauchen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nur gute Tage habe. Aber jeder Tag, an dem ich lebe, ist ein Sieg. Ein Sieg gegen die Dunkelheit. Und ein Sieg gegen die Depression.
Dieser Text entstand im Rahmen meines Studiums am «MAZ - Die Schweizer Journalistenschule». Eine ausführliche Online-Version gibt es auf meiner persönlichen Homepage. Hier gibts eine Infografik zur Krankheit.
Janine Sennhauser
Ich habe Depressionen. Hatte Depressionen. So genau weiss ich nicht, ob sie schon vorbei sind. Was ich weiss, ist, dass ich meine Geschichte erzählen will. Sie erzählen muss. Für mich und für alle, die stumm leiden.
Eigentlich ist alles gut. Und doch weine ich. Jeden Tag. Und jeden Abend. Auf dem Weg zur Arbeit und zurück. Immer dieselbe Strecke, immer der gleiche Halt an der Tanke. Nicht, weil ich tanken muss. Dort sitze ich in meiner abgeranzten Jeansjacke. Das Fenster einen Spaltbreit offen rauche ich eine Winston nach der anderen, verbrauche Berge von Tempos. Obwohl ich alles habe. Ein Auto, eine Wohnung, eine liebevolle Familie. Und vor allem: meinen Traumjob. Ich wollte schon als kleines Mädchen Journalistin werden. Jetzt bin ich eine, aber eine unglückliche. Es hat mal Spass gemacht. Eigentlich ist gar nichts gut.
Journalist ist einer der zehn stressigsten Berufe der Welt. Das haben Forscher der medizinischen Universität Cincinnati 2014 in einer Studie herausgefunden. Die Studie ist zwar schon etwas älter, aktuell ist sie aber immer noch. Genauso wie die Gründe für die Belastungen: Stress und unregelmässige Arbeitszeiten. 12.4 Prozent der Berufstätigen sind laut der Studie von Depressionen betroffen. Und ich bin eine von ihnen. Aber ich bin nicht allein. Da ist Remo Schraner.
Auch er ist Journalist. Und auch er ist depressiv. Er erzählt mir an einem heissen Tag im Coop Restaurant Baden Aargau von seiner langjährigen Krankheit. Ganz so, als ob er das jeden Tag tun würde. «Angefangen hat es, als ich mich im Januar für die Arbeit bereit gemacht habe und danach nicht aus dem Haus gekommen bin», erzählt der 28-Jährige. Ihm fehlte die Energie. Schraner reduzierte sein Pensum, arbeitete mehr von zu Hause aus. Erst schien es, als würde es ihm besser gehen. «Doch irgendwann ging einfach nichts mehr», erzählt er und trinkt einen Schluck Shorley. Er bezeichnet diesen Punkt als Cut. Schnitt.
Eine Depression kann verschiedene Ursachen haben. Das erklärt mir Julia Chan, Psychologin in der Gemeinschaftspraxis für Psychotherapie in Frauenfeld. Das Interview in ihrem hellen Büro kommt mir vor wie verkehrte Welt. Denn anders als sonst in der Therapie stelle ich heute die Fragen. «Alle möglichen belastenden und stressigen Situationen können Auslöser für eine Depression oder ein Burnout sein. Aber es gibt eine gewisse Vulnerabilität, das ist der Fachausdruck, man sagt, Empfindlichkeit», erklärt mir Chan. «Wenn wir genug Stress und Belastungen erleben, kippt es bei vielen. Die Frage ist, wie es kippt.» Stark vereinfacht könne man sagen, unter Dauerstress reagieren einige Leute aggressiv oder ängstlich. Oder eben depressiv.
Remo Schraner über seine langjährige Depression:
Die Suizidgedanken kommen schleichend, fühlen sich an wie ein Reflex. Es ist dieser eine Satz, der immer wieder kommt. «Ich wünschte, ich wäre tot.» Als meine Augenringe so dick sind, dass ich sie mit meinem besten Make-up nicht mehr abdecken kann, ruft mich ein Arbeitskollege zu sich. «Was ist los?» «Nichts.» Er legt den Kopf zur Seite. «Sag mir, was mit dir ist. Ich erkenne dich nicht mehr.» «Ich will sterben.» «Du spinnst total.» Ich mache kehrt, will in mein Büro. Doch die Tränen sind schneller.
Die Symptome einer Depression sind abhängig von der betroffenen Person. Neben der Trauer können laut Julia Chan auch Wut und eine innere Leere auftreten. In Remo Schraners schlimmsten Phasen war es Letzteres: «Wenn ich wirklich am Boden war, habe ich meistens gar nichts mehr gespürt. Das ist das Schlimmste, was passieren kann.» Diese Leere ereilte ihn auch, als er sein lang ersehntes Auslandspraktikum antreten wollte. «Ich kam im Ausland an und ich habe kaum noch geschlafen, kaum noch gegessen. Bin nur noch rumgelegen. Irgendwie war ich wie lahmgelegt.» Schraner musste absagen und zurück in die Schweiz kommen.
«Sie müssen in eine Klinik.» Mein Psychologe schaut mich an, krault sich den Bart. Ich hasse ihn. Ihn und sein mit afrikanischen Püppchen vollgestopftes Büro. Ihn und seinen weiss-blau karierten Schal, den er auch dann trägt, wenn es irre heiss ist. Was soll das bloss? Tränen wischend schaue ich auf die Uhr. «Sind Sie im Stress, Frau Sennhauser?» «Ja, heute Abend ist da diese Informationsveranstaltung.» «Und?» «Ich muss da hin.» «Ich glaube eher, sie müssen in eine Klinik.» Er lässt nicht locker. «Ich kann Sie krankschreiben. Sie müssen mir nur versprechen, dass Sie sich nichts antun.» Ich kann nicht. Muss ständig an die Schlaftabletten denken, die ich zu Hause in meinem schwarzen Nachttisch horte. Es wäre so leicht. Aber ich habe keine Kraft mehr. Eine Stunde später stehe ich vor den Toren der psychiatrischen Klinik in Wil.
Alle vierzig Sekunden nimmt sich ein Mensch das Leben. Dies gab die Weltgesundheitsorganisation WHO im letzten Jahr bekannt. Wie stark Suizidgedanken werden können, beschreibt Ruedi Josuran. Wir treffen uns an einem verregneten Samstag in einem Café in Stäfa. Ich habe wie immer keinen Schirm dabei. Josuran schon. Und einen schwarzen Mantel, der mich irgendwie an einen Pfarrer denken lässt. Der SRF-Journalist erkrankte vor über zehn Jahren an einem Burnout. Heute geht es ihm gut. Damals dachte er daran, sein Leben zu beenden: «Ich stand am Zugperron und habe einfach gedacht: ‘Lass dich fallen, wenn der Zug kommt’. Dann habe ich den Perron verlassen, weil ich gemerkt habe, dass mich ein Sog zum Gleis zieht.»
Ergotherapie. Sie gehört zum festen Tagesablauf auf der Akutstation. So sitze ich zusammen mit zehn anderen psychisch Kranken in einem Raum, der aussieht, wie das Handarbeitszimmer meiner Primarschule im Toggenburg. Überall hängen farbige Papiergirlanden und anderer Schnickschnack. Wir sollen kreativ sein, meint die Therapeutin. Basteln, malen oder sonst was. Ich kann das nicht. Der einzige Raum, der mir gefällt, ist der Raucherraum. Ein dunkles Loch. Dort verbringe ich meine Stunden. Anstatt in der Ergotherapie zu verzweifeln, würde ich lieber in meinem Loch sitzen und Kette rauchen. Aber kein Pardon. Also beschliesse ich, Freundschaftsbändchen zu knüpfen. Versuche es zu sehr. Mache mir Druck, verzettle mich. Löse alle Knoten, beginne von vorn. Am Ende der Stunde bin ich so weit wie am Anfang.
Auf der Terrasse des Coop Restaurants spricht Schraner über seine Angst vor der Klinik. «Ja, in die Psychi zu gehen war für mich der Horror», sage ich und halte mir schockiert eine Hand vor den Mund. Ich benutze das Wort «Psychi» oft, obwohl ich weiss, wie abschätzig es klingt. Remo Schraner lacht. Ich atme erleichtert auf, fühle eine seltsame Verbindung zu diesem Mann. Er redet weiter: «In der Klinik habe ich wieder zu mir gefunden. Was für mich einschneidend war: Ich kam in den Aufenthaltsraum und es hatte so viele Leute dort.» Er merkte, dass er nicht alleine ist. Und trotzdem fühlte er sich einsam. Dass sich einige seiner Arbeitskollegen nicht bei ihm meldeten, traf ihn. «Ich dachte mir: ‘Die wissen, wo ich bin und melden sich nicht. Was soll die Scheisse?’ Dann habe ich gemerkt, dass sie überfordert sind. Es fehlen viele Informationen für Leute, die keine Depressionen haben. Aber klar, es ist verletzend, wenn man im Stich gelassen wird.»
«Frau Chan, wieso können viele Menschen nicht mit psychisch Kranken umgehen?», frage ich und blinzle gegen das Sonnenlicht an, das durch die hohen Fenster dringt. Die Psychologin richtet sich in ihrem grauen Sessel auf. «Es gibt so viele verschiedene psychische Krankheiten und die können mehr oder weniger bedrohlich wirken. Und ich glaube, das ist so, weil wir alle ahnen, dass wir gewisse Abgründe in uns haben, in die wir allenfalls hineinfallen könnten.» Also ist es, als würden psychisch Kranke der Gesellschaft den Spiegel vorhalten? «Ja, sie zeigen, was möglich ist.»
«Frau Sennhauser?» Es ist der Pfleger, der immer spazieren gehen will. Es ist kurz nach dem Mittagessen, zum Dessert gab es die tägliche Portion an Tabletten. Ich bin müde, habe keine Lust, nach draussen zu gehen. Er klopft an den Nachttisch. «Kommen Sie mit?» Ich wusste es! «Ich bin müde», sage ich und schliesse die Augen. «Frau Sennhauser, sind Sie müde oder erschöpft?» Der Pfleger nervt. Er soll gehen. Doch er bleibt. Schliesslich gehe ich mit. Widerwillig. Mit mir zwei, drei andere Patienten. Einen kenne ich. Ich weiss, dass er schizophren ist. Er weiss, dass ich depressiv bin. Wir spazieren nebeneinander her. Plötzlich fragt er: «Hast du Freunde?» «Ja, warum?» «Wieso willst du dich dann umbringen?» Ich bin fassungslos. Was für eine blöde Frage! Oder nicht? Er schaut mich an. Ich kann ihm keine Antwort geben.
Ähnlich wie mir ging es auch Remo Schraner. Er, für den Bewegung Lebenslust hiess, hatte keine Kraft mehr. Fühlte sich «wie ein Klumpen Tod», nahm 15 Kilogramm zu. Seit es ihm besser geht, ist er dabei, diese wieder abzutrainieren. Denn, so Schraner, «es ist frustrierend, sein eigenes Spiegelbild nicht mehr wiederzuerkennen.»
So beschreibt Remo Schraner seine Depression:
Ich sitze im Loch, höre Musik und erkläre, wer gerade ins Mikro schreit. Es ist Marilyn Manson. Die Musik düster wie meine Gedanken. Das sind sie vor allem, weil ich zum Suizid Mentoring verdonnert wurde. Dreimal täglich muss ich den Pflegern erklären, dass ich mich noch umbringen will. Und mir, weshalb ich es noch nicht getan habe. Aus Angst? Feigheit? Trägheit? Ich weiss es nicht. Weiss nur, dass ich hier bin. Im Loch.
«Ich sage bewusst nicht, Journalismus kann einsam machen. Journalismus macht einsam», erklärt mir Michael Hug. Er ist der Ostschweizer Co-Präsident vom Journalistenverband «impressum». Hug fährt sich über seine zerzausten, grauen Locken und ergänzt: «wenn du unterwegs bist, bist du alleine. Am Schluss sitzt du alleine vor dem PC und schreibst dein Zeug. Es macht aber vor allem einsam, weil du in der Gesellschaft der bist, der zwischendurch grausam aneckt.» Die unregelmässige Arbeitszeit und die vielen Überstunden seien ebenfalls belastend: «Während ein Journalist früher einen Bericht am Tag schreiben musste, sind es heute bis zu drei.» Hug macht die Medienkrise verantwortlich. Die Zusammenlegung von Redaktionen, das fehlende Geld in den Verlagen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das anders. Zeitungen hatten Geld und Erfolg. Mit dem Beginn des digitalen Zeitalters begann der Fall. Schleichend, nicht einzuschätzen. Die Digitalisierung hat die Medienbranche und andere Berufszweige kalt erwischt.
«Das muss cool sein». Ein Satz, der während meines Klinikaufenthalts häufig fällt. Ja, Journalistin zu sein, war mal cool. Jetzt bin ich keine mehr. Sondern eine Depressive. Eine, die sich schämt. So sehr, dass sie sich nicht traut zu sagen, wo sie arbeitet.
Viele Patienten schämen sich wegen ihrer psychischen Krankheit, wie Julia Chan beschreibt: «Psychische Krankheiten werden verbunden mit nicht stark genug sein oder versagen.» Der SRF-Moderator Ruedi Josuran kennt das. Für ihn war die Scham «wie eine Krankheit neben der Krankheit». Bei seinem späteren Herzinfarkt war das kein Thema. «Der war nie so schlimm, obwohl es eine lebensbedrohliche Situation war. Wenn man einen Herzinfarkt hat, bekommt man viel Verständnis. Man hat sofort eine Diagnose», sagt er und spült seine Butterbrezel mit einem Schluck Kaffee hinunter. Das ist für ihn der Grund, wieso psychisch Kranke noch immer stigmatisiert werden. «Wir haben ein Problem damit, wenn uns niemand ein Röntgenbild, einen Beweis für eine Krankheit zeigen kann.»
«Was denkst du gerade?» Meine Eltern sind zu Besuch, schauen sich unsicher im Esssaal meiner Station um. Ich starre ins Leere, nehme die Theke mit der überdimensionalen Kaffeemaschine und dem üppigen Früchtekorb nur verschwommen wahr. «Nichts». Gelogen! Ich denke an Zeilen, Zeichen, Bilder. An meine letzten Artikel, an Leser, Kollegen. Kommen sie klar? «Ich bleibe höchstens zwei Wochen. Das wird reichen.» Das muss reichen. Meine Eltern sehen sich an. Sehen mich an. «Lass dir Zeit», sagen sie. Doch ich habe keine. Zwei Wochen. Wie lange kann eine Depression schon dauern?
Journalismus – ein hartes Pflaster? «Ja», findet der grauhaarige Michael Hug vom «impressum». Er spricht von körperlicher, zeitlicher und sozialer Belastung. Von mangelnden Perspektiven, vor allem in der Ostschweiz. «Ich kenne viele, die ausgebrannt sind, einige sind vielleicht noch im Job, aber innerlich kaputt. Dann hat es die, bei denen das Burnout diagnostiziert ist. Die sind dann ein halbes Jahr weg. Und in dieser Zeit haben sie Angst, dass sie nicht mehr zurückkommen können.» Eine Angst, die in Remo Schraners Fall berechtigt war. Er trinkt seine Shorley aus, stellt das leere Fläschchen auf den Tisch und sagt: «Mein Chef hat mir schon vor dem Klinikaufenthalt gesagt, dass er meinen Vertrag nicht verlängern wird.»
Ich laufe. Immer schneller, immer weiter weg. «Wohin geht’s?», fragt ein Mitpatient. «Irgendwohin.» Es regnet. Ich werde nass, bekomme Gänsehaut. Macht nichts. Kalt ist mir sowieso ständig. Egal, wie viel Kaffee ich trinke. Die Kälte kommt von innen. Ich laufe weiter. In meinen Ohren dröhnt Musik. Irgendwann bleibe ich stehen. Setze mich auf eine Bank. Mein Gesicht ist nass. Metallica singt «Nothing Else Matters». Genau.
Für Remo Schraner zählt jetzt vor allem eines: Seine Gesundheit. «Man muss sich überlegen, was einem wichtiger ist. Den Job verlieren oder die psychische Gesundheit.» Wie es beruflich für ihn weitergeht, weiss er nicht. Ebenso, ob der Journalismus noch zu ihm passt. «Also die Arbeit passt zu hundert Prozent zu mir, die Frage ist, passt das Umfeld?» Will er überhaupt zurück? Zurück in den Journalismus, in eine Branche, die krank machen kann und einsam? «Nicht auf Biegen und Brechen.»
Remo Schraner über seine berufliche Zukunft:
Wenige Monate nach unserem Treffen konnte Remo Schraner wieder Fuss im Journalismus fassen. Trotz allem.
38°C Fieber. Die Grippe. «Ab ins Bett», sagt meine Pflegerin. Die Journalistin, die früher mit Migräne, Bronchitis und Blasenentzündungen seitenlange Artikel schrieb, soll krank sein? Ich lache, die Pflegerin nicht. Sie meint es ernst. Ich mache langsam kehrt, schlüpfe in meinen Eulenpyjama und krieche unter die Decke. Ich bin krank und im Bett. Und es ist okay. Ich darf mich ausruhen. Und die Welt bricht nicht zusammen.
Auch die Medienbranche kränkelt laut Michael Hug. Er wirkt hoffnungslos: «Ich glaube, das wird sich nicht mehr verbessern. Es wird nie mehr so, wie es vor dem Jahr 2000 war.» Positiver betrachtet es Ruedi Josuran. Er sieht mich über seine zweite Tasse Kaffee hinweg an und sagt lächelnd: «Der Journalismus war meine erste Liebe und wird es bleiben. Natürlich schaffen die ständigen Veränderungen Unsicherheiten, die es früher nicht gab. Aber ich würde niemals sagen, heute ist es in der Medienbranche besser oder schlechter als früher. Es ist einfach anders.»
Remo Schraner hat ein Klinikaufenthalt geholfen, auch Ruedi Josuran ist gesund geworden. Und was hilft der Medienbranche? Gemäss Michael Hug lediglich eines: «Journalisten müssen entlastet und besser bezahlt werden.»
Ich stehe draussen vor der grossen Holztür und dem Schild «Psychotherapiestation» und weine. Meinen Vater an der einen, mein Gepäck an der anderen Hand. Es sind Freudentränen. Heute werde ich entlassen. Kann nach drei Monaten zurück in mein Leben, zurück in meinen Job. Während ich diese Zeilen schreibe, ist ein Jahr vorbei. Ein gutes Jahr. Ich denke oft an diese Zeit zurück. In die «Psychi» zu gehen, war wohl die beste Entscheidung, die ich jemals getroffen habe. Denn, hätte ich es nicht getan, könnte ich jetzt vielleicht diesen Text nicht schreiben, nie mehr Musik hören, Kaffee trinken und Zigaretten rauchen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nur gute Tage habe. Aber jeder Tag, an dem ich lebe, ist ein Sieg. Ein Sieg gegen die Dunkelheit. Und ein Sieg gegen die Depression.
Dieser Text entstand im Rahmen meines Studiums am «MAZ - Die Schweizer Journalistenschule». Eine ausführliche Online-Version gibt es auf meiner persönlichen Homepage. Hier gibts eine Infografik zur Krankheit.
Janine Sennhauser
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