17.09.2023 13:29
Ein Flair für «Zwerge» haben
60 Klassenassistenzen unterstützen den Schulalltag in Kreuzlingen - Corinne Kübler ist eine davon. Ein Besuch im Chindi Lummerland
Mal etwas länger an einer Matheaufgabe sitzen, sich Zeit bei einer Bastelarbeit nehmen, trösten, schlichten und ein offenes Ohr haben: Die Klassenassistenten von Kreuzlingen sind nicht mehr wegzudenken.
Kreuzlingen «Frau Kübler, Frau Kübler!», ruft ein Bub nach der Klassenassistentin. Die 45-jährige Kreuzlingerin ist Mami von zwei Jugendlichen, welche einst selbst den Lummerland-Kindergarten besuchten. Die «Problemlis» sind meist dieselben. Ein Gspähnli schwingt schon zu lange auf der Schaukel, ein Mädchen möchte nicht mehr Fangis spielen,ein Junge nannte einen anderen Bub blöd, der Schuhbändel ist offen oder die Hose vom Hang runterrutschen dreckig. Für Erwachsene marginale Probleme, doch Corinne Kübler nimmt sie alle ernst, ermittelt, hilft beim Versöhnen und sorgt gemeinsam mit Seraina Bätschmann liebevoll und trotzdem konsequent für einen geregelten, sicheren Kindergartenalltag. Kindergartenlehrperson Seraina Bätschmann beobachtet Corinne im Einsatz. «Bei uns funktionierte das Teamwork von Anfang an. Die Kommunikation ist sehr wichtig bei der Zusammenarbeit mit Klassenassistenten und wir tauschen uns laufend aus.» Sie könne sich den Kindergartenunterricht vor allem während der Anfangszeit nach den Sommerferien heute nicht mehr ohne Unterstützung vorstellen.
Gesellschaftlicher Wandel
«Uns wurde früh bewusst, wie bedeutsam der Einstieg in die Volksschule für eine gelingende Schullaufbahn ist», so Schulpräsidentin Seraina Perini. Der Eintritt in die Strukturen der Volksschule sorge vielerorts für anspruchsvolle Situationen. Sie spricht den gesellschaftlichen Wandel in den Familien an. «Es gab immer schon Unterschiede bei den Kindern beim Eintritt in den Chindi. Doch bei der Heterogenität sind in den letzten Jahren markantere Ausprägungen aufgefallen.» Wie sehr wurde ein Kind vor dem Eintritt von den Eltern gefördert, wie anregend war ihr Umfeld und welche Sprachkompetenzen bringt es mit? Die Unterschiede seien heute teils gross. So beim Thema Selbstständigkeit. Dies können auch Corinne Kübler und Seraina Bätschmann bestätigen. «Die einen Kinder können geschickt mit der Schere oder dem Pinsel umgehen, bei anderen merken wir, dass sie wohl nie einen Farbstift in der Hand gehalten haben.» Das gleiche Bild bei den Waldtagen. «Man sieht, welche Kinder viel Draussen sind mit der Familie. Sie wissen sich gleich zu beschäftigen im Wald, kennen Baumarten und sind Wind- und Wetterfest.» Der Migrationshintergrund stehe dabei nicht im Fokus, doch Sprachbarrieren können den Chindialltag erschweren. «Die Kinder verständigen sich mit Händen und Füssen und besuchen den Deutsch als Zweitsprache- Unterricht zweimal die Woche», so Bätschmann. Gewisse Grundkenntnisse würden den Alltag jedoch für Kinder wie auch Lehrpersonen erleichtern. Diese Problematik erkannte auch der Kanton und führt ab Januar 2024 eine neue Regelung zur Prüfung des Sprachstandes eines Kindes ein Jahr vor dem Chindieintritt ein. Bei unzureichenden Kenntnissen der deutschen Sprache besuchen die Kinder ein verpflichtendes Angebot zur Förderung der Sprachkompetenzen. In Form vom Besuch einer Spielgruppe oder vergleichbaren Angeboten. «Diese Regelung spielt uns in die Hand. Wir sind sehr froh darüber, dass Kinder die Möglichkeit erhalten, ihre Sprachkenntnisse zu erweitern», sagt Perini. Klassenassistenzen wie Corinne Kübler seien bei diesen Thematiken auf Kindergartenstufe eine wichtige Unterstützung für Lehrpersonen und Kinder. Ab der ersten Klasse bis und mit Ende Oberstufe werden Klassenassistenzen gezielt nach Bedarf eingesetzt. Auch bei Schülerinnen und Schülern mit Sonderschulbedarf, die im Auftrag des Kantons integrativ beschult werden. Involviert sind dabei nebst Schüler und Eltern, die Schulpsychologie, die Schulleitung sowie Lehrpersonen. Auch Dank der Begleitung durch eine Klassenassistentin ist oftmalsein Besuch einer Regelklasse möglich. Die Assistenzen müssen keine pädagogische Ausbildung mitbringen, vielmehr eine breite Lebenserfahrung, ein grosses Interesse am Schulwesen und das Flair, mit den jeweiligen Altersklassen umzugehen. «Mit den Zwerglis im Kindergarten ist der Umgang ein anderer als mit Teenagern in der Oberstufe. Ein offenes Wesen mit der Bereitschaft, sich im Klassenalltag einzubringen und dabei trotzdem die Rollenverteilung einzuhalten, ist essenziell für das Gelingen einer Zusammenarbeit», erzählt Seraina Perini. Um das Wissen der Klassenassistenzen stetig zu erweitern hat die Schule Kreuzlingen in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Thurgau und der Schulberatung Kreuzlingen eine spezifische Weiterbildung konzipiert, die an vier Halbtagen stattfindet. Aktuell besuchen 25 Klassenassistenzen die interne Weiterbildung. Corinne Kübler gehört zu den Teilnehmenden und profitiert von den Inputs. Speziell lehrreich sei der Pädagogische Blickwinkel. «Als Mami würde man in gewissen Situationen anders reagieren als eine Lehrperson. Die Gründe für die verschiedenen Strategien zu verstehen, ist spannend und kann im Unterricht umgesetzt werden.» Die Pause ist vorbei und es geht weiter mit dem Bastel. Die Zusammenarbeit der beiden Frauen geht Hand in Hand. Oftmals genügt ein Blick und sie wissen, was zu tun ist.
Von Desirée Müller