23.11.2023 12:00
Unsichtbare Gewalt sichtbar machen
Vom 25. November bis 10. Dezember findet die Aktion «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» statt
Die diesjährige Kampagne widmet sich dem Thema «Psychische Gewalt». Im Interview berichtet Uta Reutlinger, Leiterin der Koordinationsstelle Gewaltprävention Kantonspolizei Thurgau, wie sehr Betroffene unter psychischer Gewalt leiden und welche Strafe den
Frau Reutlinger, neben der häuslichen Gewalt, zu der die Kantonspolizei im Thurgau ein- bis zwei Mal täglich gerufen wird, leiden Frauen unter psychischer Gewalt. Welche Gewalthandlungen umfasst dieser Begriff?
Unter psychischer Gewalt sind Angriffe auf das Selbstwertgefühl, die Gedanken und Gefühle eines Menschen zu verstehen, wobei es immer um das Ausüben von Macht und Kontrolle auf das Gegenüber geht. Psychische Gewalt umfasst Gewalthandlungen wie Demütigungen Beschimpfungen und Einschüchterungen aber auch Drohungen, bis hin zu Todesdrohungen. Auch soziale Kontrolle, wie das Verbot zur Pflege von Kontakten mit Familienmitgliedern und Freunden und auch ökonomischer Druck wie zum Beispiel die Beschlagnahmung des Lohnes, können Formen psychischer Gewalt sein.
Psychische Gewalt ist subtiler und weniger sichtbar als körperliche Gewalt. Meist beginnt sie zudem schleichend und nimmt im Verlauf der Zeit an Intensität zu. Dadurch wird sie oft über eine längere Zeit weder von Betroffenen noch von deren Umfeld als solche erkannt.
Psychische Gewalt kann isoliert aber auch in Kombination mit anderen Gewaltformen wie beispielsweise der körperlichen Gewalt vorkommen und kann eine Form Häuslicher Gewalt sein.
Welche gesundheitlichen Folgen können die Betroffenen haben?
Auch wenn psychische Gewalt häufig unsichtbar und subtil wirkt, bedeutet dies nicht, dass sie nicht auch schwerwiegende Folgen für die Gesundheit von Betroffenen haben kann. Opfer psychischer Gewalt können unter sozialem Rückzug, Angstzuständen und Depressionen, einem verringerten Selbstwertgefühl oder Schlaf- und Essstörungen, Suchterkrankungen leiden. Opfer Häuslicher Gewalt berichten häufig, dass die psychische Gewalt für sie subjektiv die schwerwiegendste Form der erlebten Gewalt war.
Die Aktion «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» soll auf das Thema «psychische Gewalt» aufmerksam machen. Welche Präventionsmassnahmen unternimmt die Kantonspolizei dagegen?
Es ist Teil des Auftrags der Kantonspolizei Thurgau, neben der Verfolgung von Straftaten, Gewalttaten durch präventives Handeln zu verhindern. Dazu ergreift sie verschiedene Massnahmen und arbeitet interdisziplinär mit verschiedenen amtlichen wie nichtstaatlichen Stellen zusammen. Unter anderem beteiligt sich die Kantonspolizei Thurgau an Kampagnen wie «16 Tage gegen Gewalt an Frauen», gibt zahlreiche kostenlose Informationsbroschüren heraus, die in verschiedenen Sprachen verfügbar sind, und organisiert Workshops für Jugendliche und Weiterbildungsveranstaltungen für Fachpersonen. Zudem berät und begleitet die Koordinationsstelle Gewaltprävention der Kantonspolizei Thurgau gewaltgefährdete respektive betroffene Personen, aber auch Fachpersonen, die mit Betroffenen in Kontakt stehen und unsicher sind, wie nächste Handlungsschritte aussehen könnten.
Psychische Gewalt ist strafbar. Aber ab wann gilt dieser Tatbestand und mit welchen Folgen für den Täter/die Täterin?
Da psychische Gewalt keine sichtbaren Verletzungen hinterlässt, ist sie strafrechtlich schwerer fassbar als körperliche Gewalt. Dennoch ist auch psychische Gewalt strafbar. Dabei kommen verschiedene Artikel des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) mit unterschiedlichen Folgen für die Tatperson in Betracht, von Geld- bis hin zu mehrjährigen Freiheitsstrafen.
Die nachfolgende Liste ist nicht abschliessend:
Erpressung, Drohung und Nötigung (Art. 156, 180, und 181 StGB).
Ehrverletzungen (Art. 173–177 StGB)
Freiheitsberaubung (Art. 183 und 184 StGB). Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219 StGB).
Am meisten findet psychische Gewalt wohl im häuslichen Umfeld statt. Wo begegnet Ihnen, bei Ihrer täglichen Arbeit in der Gewaltprävention, ausserdem psychische Gewalt.
Psychische Gewalt kann überall stattfinden, wo ein Machtungleichgewicht herrscht und dieses von der «stärkeren» Partei ausgenutzt wird. Neben dem bereits erwähnten häuslichen Kontext (Gewalt gegenüber dem Partner/der Partnerin, Gewalt gegenüber einem Kind, Gewalt gegenüber einem älteren Angehörigen), kann psychische Gewalt auch am Arbeitsplatz, in Schulen sowie in Alters- und Behinderteneinrichtungen stattfinden.
Auch im digitalen Raum findet psychische Gewalt statt. Die – vermeintliche – Anonymität und Distanz zum Gegenüber führt oftmals zu einer enthemmten Gewaltbereitschaft, die als Hate Speech oder Hassrede bezeichnet wird. Besonders gefährdet, Opfer von Hassrede im Netz zu werden, sind beispielsweise weibliche Politikerinnen oder queere Personen.
Was kann man tun, wenn man Opfer psychischer Gewalt ist?
Ist man von psychischer Gewalt betroffen, ist es hilfreich, sich jemandem anzuvertrauen. Im Kanton Thurgau existieren mit der Benefo Fachstelle Opferhilfe und der Beratungsstelle für gewaltbetroffene Frauen zwei Fachstellen, die Opfer von Gewalt kostenlos und vertraulich beraten. Ausserdem empfehlen wir, psychische Gewalt bei der Kantonspolizei Thurgau zu melden beziehungsweise zur Anzeige zu bringen.
Während der Aktionstage wird geschlechterspezifische Gewalt in Podiumsdiskussionen, Theatern, Selbstverteidigungskurse, Workshops oder Strassenaktionen thematisiert. Informationen dazu unter www.16tage.ch.
Interview: Angelina Rabener
Beteiligte Organisationen
Neben der Koordinationsstelle Gewaltprävention der Kantonspolizei Thurgau beteiligen sich vom 25. November bis zum 10. Dezember folgende Organisationen an den Aktionen im Kanton:
- Beratungsstelle für gewaltbetroffene Frauen Thurgau
- Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter
- Sabatina Schweiz
- Weg ohne Angst
- Verein Blossom
- Queer Thurgau
- Schweizerisches Rotes Kreuz Kanton Thurgau
- HEKS in-fra Thurgau
- Perspektive Thurgau
- Soroptimist International Club Frauenfeld und Club
- Kreuzlingen
- Fachstelle
-
-
- Kinder- und Jugendanimation 20gi
- Fachstelle Kinder- und Jugendanimation 20
Während der Aktionstage wird geschlechterspezifische Gewalt in Podiumsdiskussionen, Theatern, Selbstverteidigungskurse, Workshops oder Strassenaktionen thematisiert. Informationen dazu unter www.16tage.ch.