Andrea Vogel in Aktion.
11.07.2024 09:43
Die DNA von Weinfelden
Ein Besuch in der Remise Weinfelden
Das diesjährige Sommeratelier wurde an die Künstlerin Andrea Vogel aus St. Gallen vergeben. Begonnen hat das Projekt im April mit einem Aufruf ausgediente Kleidungsstücke in die Remise zu bringen. Dieses Ausgangsmaterial wird bis zur Vernissage am 18. August künstlerisch zu einer Installation verarbeitet. Am Samstag, 20. Juli 2024 steht die Remisentür von 11 bis 16 Uhr weit geöffnet, um einen ersten Einblick in den Arbeitsprozess zu gewinnen. Ein Besuch der Künstlerin.
Weinfelden «Warte kurz, ich räum meine Sachen weg. Aktuell ist hier mein Büro.» Andrea Vogel schiebt ihren Laptop auf dem kleinen Holztisch zur Seite und sammelt Notizzettel zusammen. Wir setzen uns und ich lasse kurz die Atmosphäre der Remise auf mich wirken. Die alten Holzbalken und knarrenden Dielen haben gewiss so manche Geschichte zu erzählen. So wie die dutzenden von Kleidungsstücken, welche über ein Geländer beim Eingang gehängt sind und sichtlich darauf warten, endlich verarbeitet zu werden. Andrea Vogel aus St. Gallen verrät mit ihrem gemütlichen Berner Dialekt, dass die Ostschweiz nicht ihre Heimat ist. Seit 25 Jahren lebt sie dort. Sie erzählt, dass sie die Textilklasse in Luzern besuchte und danach bei Jakob Schläpfer eine Stelle als Designerin bekam. Nebenher realisierte sie immer wieder freie Arbeiten. Anfangs lud sie zu Performances in ihre Wohnung ein, da sie kein eignes Atelier besass. Engagements für das Projekt «Kunst am Bau» folgten sowie Einladungen zu Wettbewerben. Heute lebt Andrea Vogel von der Kunst und erlebt so manches Abenteuer. Zuletzt war sie im Rahmen eines Atelier Stipendiums in Paris und wurde zur «Lumpensammlerin». Entstanden ist ein aussergewöhnliches Textil-Projekt.
Grosser Schritt
Auch in Weinfelden arbeitet Vogel mit Kleidern, welche Weinfelderinnen und Weinfelder die Tage vorbeibringen. «Ich habe die Leute zu den Beweggründen befragt, warum sie mir genau dieses Stück zur Verfügung stellen», so die Künstlerin. Die Gespräche waren stets sehr persönlich, nah und manchmals auch emotional. «Eine Dame brachte mir Kleidungsstücke ihres verstorbenen Mannes vorbei. Ein grosser Schritt, nachdem man sich von einem geliebten Menschen verabschieden muss, die Kleidung weiterzugeben.» Eine Frau schenkte Vogel ihr altes Verlobungskleid, für das sie keine Verwendung mehr hatte. So ein persönliches Stück in den Altkleidersack zu stecken, brachte sie nicht übers Herz. Eine weitere Weinfelderin verlor in den letzten Jahren an Gewicht und musste – oder durfte – ihre Garderobe erneuern. Ein Mann übergab ihr seine Lieblingsjeans, welche er über viele Jahre lang trug. Sie war wirklich «durre», doch er konnte sich bisher nicht von ihr trennen. «Es gibt nichts, das man näher am Körper trägt, als Kleider. Sie verkörpern einen Teil von uns. Sie können uns egal sein oder doch etwas ausdrücken.» Beim eingereichten Projekt war es Andrea Vogel wichtig, dass sich die Weinfelder Bevölkerung irgendwie beteiligen kann. Die aktive Mitarbeit freut und überrascht sie zugleich.
Der spezielle Charme der Remise inspiriert Vogel. So arbeite sie gerne in alten Residenzen. Und die begrenzte Dauer sorgt für den nötigen Druck, sich vollends über eine gewisse Zeit mit dem Projekt zu beschäftigen. Bisher hat sie aus einem Teil der Textilien, vom BH, Badeanzug bis zu Stumpfhosen, Streifen geschnitten und zu Schnüren geknüpft. Wir steigen die Treppen zum Dachstock hoch. Dort passiert dann der «Magic Moment». An einer Stange hängen die Schnüre, etwa eineinhalb Meter breit reihen sich diese aneinander. Sie webt fast schon anmutig eine der «Kleider-Schnüre» durch die vertikalen und schafft so die erste Reihe des Gewebes. Sozusagen die textile DNA von Weinfelden. Ein Teil des grossen «Teppichs» zu werden, welches sich vom Dachstock durch die ganze Remise ziehen soll, ist für die Kleiderspenderinnen und Spender ein schöner Gedanke.
Von Desirée Müller