Die terzStiftung vertritt die Meinung, dass die Verkehrssicherheit über allem stehen muss.
11.07.2024 15:00
Verkehrsmedizinische Schikane für Fahrzeuglenker Ü75
Der damalige Entscheid der Eidgenössischen Räte, den Beginn der medizinischen Fahreignungsprüfung per 1. Januar 2019 auf 75 Jahre heraufzusetzen, unterliegt einem Denkfehler. Die terzStiftung vertritt die Meinung, dass die Verkehrssicherheit über allem stehen muss.
Region Könnte der Nutzen der heutigen Methode der medizinischen Kontrolluntersuchung älterer Autofahrer/innen, die in der Schweiz seit 1976 angewandt wird, wissenschaft-lich nachgewiesen werden, wäre der Entscheid falsch. Doch einen solchen wissenschaftlichen Nachweis gibt es nicht, wohl aber Studien, welche die Nutzlosigkeit der Kontrolluntersuchung nachweisen. Kommt dazu, dass Motorfahrzeuglenkende zwischen 65 und 75 Jahren in den Unfallstatistiken ohnehin völlig unauffällig sind. Die Räte hätten daher die Abschaffung der heutigen Methode beschliessen müssen. Wenn überhaupt, ist eine echte, das heisst validierte und wissenschaftlich belegte Methode der Fahrtauglichkeits-Prüfung erforderlich, wie sie z.B. mittels Simulatoren abgelegt und klar gemessen werden kann. Ein solches Verfahren sollte man einführen. Jedoch Massnahmen, deren Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist und die wissenschaftlich sehr umstritten sind, werden zu Recht als schikanös und diskriminierend empfunden und erzeugen Frust, Ärger und Stress.
Eine fachliche Empfehlung
Einen grossen Ärger erzeugt bei vielen älteren Menschen der undifferenzierte Einsatz des Minimental Tests - Verdacht auf eine demenzielle Erkrankung -, der in vielen Praxen routinemässig eingesetzt wird. Wir wollten wissen, ob das in der Fortbildung in dieser Form an die Ärzte weitergegeben wird. Frau Tamara Peralbo, Geschäftsfüh-rerin des Fortbildungszentrums für Fahreignungsbegutachtung Schweiz, Schweizerische Gesellschaft für Rechtsmedizin SGRM, gab auf unsere Anfrage folgende Auskunft: «Wir empfehlen klar, bei Personen über 75 Jahren alle kognitiven Kurztests durchzuführen, d.h. auch den Minimental Test und den Uhrentest. Es ist aber eine fachliche Empfehlung und keine Vorschrift.» Fragt sich, wie eindringlich diese «Empfehlung» den Ärzten doziert wird.
Krasse Form von Altersdiskriminierung
Der frühere zuständige Verkehrsmediziner Rolf Seeger vom Rechtsmedizinischen Institut der Uni Zürich erklärte in einem Gespräch mit dem verstorbenen Kantonsarzt Dr. med. Max Dössegger und mit dem Schreibenden bei Tele TOP, dass der Mini-mental Test nur dann zur Anwendung kommen sollte, wenn Anzeichen einer Desorientiertheit vorliegen. Heute wird jede Person ab 75 Jahren unter Generalverdacht einer Demenz gestellt und in vielen Praxen der Test imperativ durchgeführt. Das er-achten wir als eine krasse Form von Altersdiskriminierung.
Nachbarländer kennen Prüfungen nicht
Deutschland, Frankreich und Österreich kennen solche altersbedingten Prüfungen nicht. Im Vergleich mit diesen Ländern sollten unsere Ü 75-jährigen Motorfahrzeug-lenkenden in der Unfallstatistik besser abschneiden. Das tun sie aber nicht. Die drei Länder stellen ihre Rentner nicht unter Generalverdacht. Selbstverantwortung oder auch Vernunft der Lenkenden wird dort als Mittel der Wahl betrachtet. Erstaunlich ist, dass unser Staat, der sich als liberal versteht, seine Bürgerinnen und Bürger, was die Beurteilung ihrer Fahrkompetenz anbetrifft, seit 48 Jahren für weniger mündig ein-stuft als die drei Nachbarländer dies tun. Im staatspolitischen Bereich dagegen verfügen Schweizer Bürgerinnen und Bürger über weit mehr Rechte, Kompetenzen und Verantwortung als ihre ausländischen Nachbarn.
Das Fazit in Bern hätte sein müssen, dass - solange kein wissenschaftlicher Wirksamkeits-Nachweis der angewandten Methode erbracht werden kann - von einer solchen Zwangsmassnahme Abstand zu nehmen ist. Mit der Verschiebung der Altersgrenze von 70 auf 75 Jahre beginnt ein diskriminierender und schikanöser Akt heute einfach fünf Jahre später, mit derselben Wirkungslosigkeit.
René Künzli, terzStiftung